012 Trauma- Wertvolles Wissen

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012 Trauma- Wertvolles Wissen über Trauma

Leben lieben

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Wertvollstes Wissen über Trauma

Im Interview für "Menschen stärken" spricht Dami Charf offen darüber, warum sie sich für das Thema Trauma einsetzt und wie sie mit der derzeitigen Krisensituation umgeht.

Aufgrund der Corona-Pandemie hat Dami ihre Traumreise über Hawaii und Kalifornien drei Monate früher beendet als geplant und wurde kurz nach ihrer Rückkehr mit den Einschränkungen im Alltagsleben konfrontiert. Gerade die Kontaktbeschränkungen erlebt sie als besonders herausfordernd. Kraft geben ihr Spaziergänge in der Natur.

Es macht einen großen Unterschied, ob wir auch mal berührt werden oder uns und andere Menschen nur über den Sehsinn wahrnehmen.“

Ich freue mich sehr, dass ich in diesem Podcast  wertvolles Wissen über Trauma zur Verfügung stellen kann, denn meiner Meinung nach ist Traumwissen nicht nur für die Experten interessant, sondern sollte jedem Menschen zugänglich sein. Du erfährst, was Trauma mit dem Thema Grenzen setzen zu tun hat, wie es bereits bei der Geburt zu einem Trauma kommen kann und was es bedeutet, aus einer Erstarrung herauszukommen.

Warum Trauma?

Dami hat in ihrer Kindheit und Jugend Gewalt und Übergriffe erfahren, machte Kampfsport und kam darüber mit WenDo in Kontakt, das sie unterrichtet hat. Dabei lernen Mädchen und Frauen sich durch Selbstbehauptung und Selbstverteidigung zu schützen. Plötzlich war sie konfrontiert mit der eigenen Geschichte, mit sexualisierter Gewalt der Teilnehmerinnen und den Themen Nein sagen und Grenzen setzen.

Gemeinsam mit einer körperorientierten Psychotherapeutin arbeitete sie die eigene Geschichte auf und setzte sich mit vielen Fragen auseinander:

  • Wie schaue ich auf die Welt?
  • Wie bewege ich mich durch mein Leben?
  • Wie bin ich in Beziehungen?
  • Wie schaue ich auf meine Mitmenschen?

In dieser Auseinandersetzung und den Erfahrungen mit WenDo-Teilnehmerinnen wuchs ihr Interesse an dem Thema:

  • Warum erleben manche Frauen mehrfach Gewalt und Übergriffe?
  • Wie können Täter ihre Opfer „lesen“?
  • Wie finden Frauen aus dieser Erstarrung heraus?

Was ist eigentlich ein Trauma?

Bei einem Trauma geht es nicht um Verstehen und Begreifen. Ein Trauma zu heilen bedeutet für Dami, die eigenen Muster und die Wahrnehmung von sich selbst und der Welt zu verändern.

Als traumatisierter Mensch hast du ein bestimmtes Bild von der Welt. Für viele Trauma-Patienten sind Beziehungen nur schwer möglich, für manche undenkbar. Denn sie haben verinnerlicht, dass Menschen gefährlich und nicht vertrauenswürdig sind. Dieses Umlernen ist ein sehr tief gehender Prozess und für jeden Menschen anders.

Einem Trauma geht nicht immer ein gravierendes Ereignis voran. Der Traumabegriff wird oft sehr einseitig gesehen, dazu zählen z. B. Kriegserlebnisse oder Gewalterfahrungen. Diese Trauma bezeichnet die Wissenschaft als Schocktrauma: Es handelt sich um ein singuläres Ereignis, das abgegrenzt stattfindet und wieder aufhört. Wenige Sekunden reichen aus, um ein Leben aus der Bahn zu werfen.

Das Entwicklungstrauma und seine Folgen

Viel weniger geredet wird laut Dami über das sogenannte Entwicklungstrauma. Schon die Geburtspraxis kann eine traumatische Prägung sein. Früher wurden Babys nach der Entbindung alleine in ein Bettchen gelegt – und „lernten“ so, dass sie es nicht wert sind, in liebevollem Kontakt zu sein. Denn es kann diese Erfahrung nicht intellektuell verarbeiten.

Erwachsene negieren diese Gefühle und Erfahrungen bei Babys und Kleinkindern häufig, schon dadurch, dass sie mit dem „erwachsenen Blick“ auf diese Zeit schauen. Für Babys jedoch kommt das Gefühl dem Sterben gleich, wenn sie alleine gelassen werden und keinen Kontakt haben.

Wir leben durch Kontakt“.

Dami beobachtet immer häufiger, wie verzweifelt kleine Kinder sich um die Aufmerksamkeit der Eltern bemühen, die heute so oft in ihr Smartphone gucken. Uns Erwachsenen fehlt oft der Blick für die Welt der Kinder. Oder wir haben selbst nicht die positiven Erfahrungen von liebevollem Kontakt und ungeteilter Aufmerksamkeit gemacht.

Dabei geht es nicht um 24-Stunden-Betüddelung, sondern um Zuwendung und das Spiegeln des eigenen Verhaltens und Seins. Grenzen sind eine Form von Kontakt, grenzenlose Erziehung nimmt uns den Raum, in dem wir uns erkennen und zurechtfinden.

Überprüfe mal, wie du mit dir sprichst: Ist deine innere Stimme freundlich und unterstützend oder maßregelt sie dich und macht dich klein? Darin erkennst du die Stimme deiner Erziehung.

Körperliche und emotionale Folgen

Diese oder ähnliche frühe Erfahrungen haben mit Stress und Hormonausschüttungen zu tun, die Kinder nicht bewältigt werden können. Kannst du traumatischen Stress von normal erlebtem Stress unterscheiden, um einem möglichen Entwicklungstrauma auf die Spur zu kommen?

Unser Nervensystem schwingt: Das sympathische System schwingt nach oben bei Aufregung oder Freude und das parasympathische Nervensystem schwingt nach unten bei Ruhe und Entspannung. Babys können sich nicht selbst beruhigen – das sympathische System geht hoch. Es ist ein Irrtum, dass Babys durch Schreien ihr Umfeld manipulieren würden. Sie können das gar nicht.

Sie sind darauf angewiesen, dass die Eltern wie ein externer Parasympathikus agieren. Je kontinuierlicher diese Unterstützung ist – auch für den Aufschwung, die Aufregung – desto leichter lernen Kleinkinder, sich selbst zu regulieren.

Erwachsene, die diese Erfahrungen der Ko-Regulation nicht gemacht haben, haben häufig eine tief sitzende Angst vor Glück, Freude und Lebendigkeit (vor expandierenden Gefühlen). Auf der anderen Seite können sie Stress nicht regulieren. Diese Menschen können oft Ruhe oder Nichtstun nicht aushalten. Deshalb sorgen sie für Stress im Außen, damit sie die Gefühle im Inneren nicht fühlen müssen.

Wie gut kannst du dich regulieren?

Das Nervensystem schwingt zwischen beiden Polen und bleibt so im Gleichgewicht. Ist dieses gestört, fehlt der Ausgleich und wir sehen laut Dami die Folgen in der Gesellschaft: Angststörungen, Aggression, Depression, Schlafstörungen, Wutanfälle, Panik, Konzentrationsstörungen – diese Menschen befinden sich ständig im Kampf- und Fluchtmodus. Sie fühlen sich leer und abgeschnitten, glauben, das Leben hat gar keinen Sinn, wenn das System aus Selbsterhalt in das Gegenteil umschwingt.

Babys spüren diese inneren Tumulte bei Erwachsenen und dann kommt es dazu, dass Beruhigungsversuche ins Gegenteil umschlagen, weil sich das Kind eben nicht beschützt fühlt durch den unregulierten Gemütszustand des Elternteils.

Mit viel Glück haben wir Freunde oder PartnerInnen, die diese Ko-Regulation übernehmen und Raum für Gefühle lassen. Keine Ablenkung durch Fernsehen oder Sex. Nur sein. Dann können sich beide beruhigen und die Nervensysteme verlinken sich.

Empfehlungen für deinen Alltag

Dami empfiehlt, sich Zeit zu nehmen für die eigenen Bedürfnisse:

  • Wo fehlt dir etwas in deinem Alltag?
  • Was brauchst du, damit es dir gut geht?
  • Welches Bedürfnis möchte gesehen und erfüllt werden?
  • Wem können wir diese Bedürfnisse anvertrauen?

Diese Intimitäten sind häufig mit Scham belastet und viel zu sehr mit Sexualität verwoben, sagt Dami. Dabei nimmt uns diese reduzierte Sicht auf körperliche Befriedigung viel weg. Eine intime, körperliche Begegnung hat viel mehr mit Herz und Nähe zu tun. Das ist vielen Menschen verloren gegangen.

Das Corona-Virus macht die Unverbundenheit unserer Zeit sichtbar. Es ist ein guter Zeitpunkt, dich zu fragen, was Verbindung dir bedeutet. Wann fühlst du dich mit anderen Menschen verbunden? Was hat einen schönen Abend mit Freunden beispielsweise zu diesem schönen Erlebnis gemacht? Wie kannst du das wiederholen?

To feel to be felt.“ – Zu fühlen, dass ich mich gefühlt fühle.

Laut Dami ist dies die magische Zutat für das Leben: Das sich Mensch die Mühe gibt, mich zu erfühlen. Zuhören nicht um zu reden, sondern zuhören, um mich zu spüren.

Auch virtuell ist es möglich, diese Nähe – das Gefühl der Verbundenheit – herzustellen. Bewegung hilft, dich selbst zu spüren und auch Bäume können umarmt werden. Du kannst deinen Körper abklopfen oder dich selbst massieren und eincremen.

Atme tiefer und bewusster. Halte die Nachrichten auf Distanz und spüre dich. Da Angst im rechten Frontallappen sitzt, hilft es auch, mit sich selbst sprechen. Das aktiviert die linke Seite und beruhigt das eigene System. Lachen oder tanzen hilft. Sei liebevoll mit dir selbst.

Dami Charf

Dami arbeitet seit vielen Jahren mit körperorientierter Psychotherapie und ist vielgefragte Trauma-Expertin. In Seminaren, Vorträgen und Webinaren teilt sie seit über 30 Jahre ihr Wissen. Auf ihrer Webseite www.traumaheilung.de  kannst du mehr über sie und ihre Angebote erfahren.

Ein ganz herzliches Dankeschön an Dami Charf für das Teilen des Wissens!

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