004 Gestalt-Gespräche "Eine Annäherung an das Thema Sprache"

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Hallo und herzlich willkommen zu einer Episode von „Gestaltgespräche“. Mein Name ist Andrea Löffler, ich bin Gestalttherapeutin, Sängerin und Unternehmerin. Und heute habe ich meine sehr geschätzte Freundin und Kollegin, Bettina Hagedorn, zu Gast.

 

A: Hallo Bettina.

 

B: Hallo Andrea.

 

A: Bettina ist wie ich Gestalttherapeutin. Sie lebt und arbeitet in Dortmund und wird mit mir über ein Thema sprechen, das mir sehr am Herzen liegt und von dem ich weiß, dass es ein Thema ist, Bettina, das auch dir sehr am Herzen liegt. Und zwar ist es das Thema „Sprache“, die Wahl der Worte und Kommunikation.

 

Wir haben jetzt nicht so viel Zeit, wie man eigentlich bräuchte, um über dieses Thema zu sprechen. Ich glaube, da kann man Tage und Wochen drüber sprechen und es auch aus verschiedenen Blickwinkeln angucken, aber ich habe mir einfach mal ein paar Fragen überlegt und würde mit dir gerne rein gestalttherapeutisch ins Gespräch kommen und mal gucken, wo es uns hinführt.

 

B: Ja, schön. Ich bin ganz fasziniert vom Thema. Das ist ja ein großes Feld.

 

A: Ja, genau. Ich muss dazu sagen, Bettina kannte das Thema noch nicht, bis ich es gerade ausgesprochen habe. Das ist ja immer das spannende an den Gestaltgesprächen, dass Bettina vorher gar nicht weiß, worüber wir sprechen. Vorab hast du zu mir gesagt, das ist das Spannende und Faszinierende daran. Ist das so?

 

B: Ja, absolut.

 

A: Schön, dass du dich darauf einlässt. Ich vermute mal, dass wenn ich dir die Frage stelle, wie geht es dir, dass du dann, wie du gerne schonmal sagst, innerlich ein wenig zuckst. Ist eine Vermutung.

 

Aber die Frage „Wie geht es dir?“ wird ja so häufig gestellt und die wird dann auch gerne mit „gut“ oder „schlecht“ beantwortet. Meistens mit gut.

 

Ich würde dich gerne mal fragen, zuckst du tatsächlich, wenn ich dir diese Frage stelle. Es ist ja tatsächlich nur eine Vermutung. Und wie würdest du so eine Frage im privaten und im therapeutischen Kontext formulieren?

 

B: Sehr unterschiedlich.

 

Nein, ich zucke nicht, wenn du fragst „Wie geht es dir?“. Ich glaube, da gibt es unterschiedliche Phasen. Ich habe ja die Goldwaage von dir geschenkt gekriegt, weil ich vieles auf die Goldwaage lege. Eine Zeit lang wäre ich da glaube ich streng gewesen und inzwischen ist es eine Phase wo ich denke, das ist natürlich eine legitime Frage. Es kommt aber auf den an.

 

Es ist wichtig, in was für einem Zusammenhang ich mich bewege. Ich kann jetzt nicht von jedem auf der Straße erwarten, dass er das gestalttherapeutische „Was ist?“ fragt. Das wäre ja eigentlich die Frage, mal ganz schlicht formuliert, wenn ich wirklich interessiert bin am Anderen, würde ich fragen „Was ist?“.

 

A: Genau.

 

Also ich habe ja auch den Unterschied gemacht, zwischen privatem und therapeutischem Kontext. Weil wir Gestaltgespräche machen, würde ich auch gerne über den therapeutischen Kontext mit dir sprechen.

 

Ich möchte kurz noch die Goldwaage erwähnen, weil du das angesprochen hast. Ich habe Bettina eine kleine Goldwaage zum Abschluss unserer Gestaltausbildung geschenkt. Das war 2012. Und damals schon ist genau das mir total aufgefallen und ich schätze es sehr, dass du Worte auf die Goldwaage legst und auch die Wirkung von Worten. Es hat mich auch mal genervt eine Zeit lang, wenn ich doch einfach nur sprechen wollte, was ich sprechen will.

 

Aber was es bei mir für eine Wirkung hat ist, ich überlege meine Worte genau und überprüfe die Wirkung meiner eigene Worte in mir.

 

 B: Um es ganz knapp zu formulieren: Worte schaffen Welten

 

Das hat eine sehr, sehr große Wirkung. Es gibt ja in der Psychologie und in der Kommunikationswissenschaft die Idee, dass der Inhalt nicht wesentlich ist, sondern wie du etwas sagst. Also wie du die Beziehung definierst. Genau da setzt das an. Indem ich die Worte wähle, definiere ich eine Beziehung mit meinem Gegenüber.

 

Es geht nicht nur um die Worte, sondern natürlich auch wie ich sie sage. Letztendlich hat das auch Erhard schon in unserer Ausbildung mit uns geübt, als er gesagt hat: „Spürt mal, wenn ich Soldat sage oder wenn ich Krieger sage.“ Das macht eine andere Welt auf. Bei „Soldat“ hast du den Gehorsam im Vordergrund, das Arbeitstier, einer von vielen, der in der Menge untergeht. Bei dem Wort „Krieger“ passiert bei mir etwas ganz anderes. Das ist jemand, der für sich und seine Welt einsteht, der das lebt. Das ist das, was bei mir passiert, wenn ich die beiden Begriffe höre.

 

Wahrscheinlich ist das bei anderen nochmal anders.

 

A: Wir können das ja mal als Beispiel einfach zur Verfügung stellen:

 

Wenn ihr das jetzt lest, könnt ihr ja mal hinspüren, wenn ich jetzt nochmal sage „Soldat“. Was hat das für eine Wirkung? Und wenn ich sage „Krieger“. Was hat das für eine Wirkung? Wenn du das jetzt hörst, in der Podcast Episode, dann spüre doch einfach mal, was das für eine Wirkung hat.

 

Ich bei mir merke, ich kann das nicht mal in Worte fassen, sondern ich kann eine Bewegung in mir spüren. So eine feine Bewegung, bei Soldat schließt sich etwas bei mir im Brustbereich und wenn ich Krieger höre, öffnet sich etwas bei mir. Das ist wie so eine Bewegung, die ich beschreiben kann, als Wirkung. Das ist ja auch das faszinierende an Worten, dass sie teilweise eine ganz kleine, kaum wahrnehmbare Wirkung haben können.

 

B: Das andere Beispiel, worüber wir auch schonmal gesprochen haben ist auch nicht von mir. 

 

Sie hat mal in einem Kurs mit 10 Leuten, die Leute aufgefordert, dass sie sich einen Baum vorstellen. Dann hat sie abgefragt, wie die einzelnen Bäume aussehen. Der erste Baum war ein Apfelbaum bei der Dame Zuhause. Der zweite Baum war eine Eiche auf einem Hügel. Der dritte Baum war eine verschneite Tanne.

 

„Baum“ als Wort hatte für jede der Frauen, die da saßen, ein komplett anderes Bild, dass damit verbunden war. Deshalb ist ja auch unsere Argumentation in der Gestalttherapie, dass wir uns dafür interessieren: Womit ist dieses Wort gefüllt? Was gehen da bei dir für Verbindungen auf und was meinst du eigentlich damit, wenn du Baum sagst? Bei dem anderen Beispiel ist es genauso. Was meinst du, wenn du Soldat sagst und was meine ich, wenn ich Soldat sage?

 

 Wir müssen uns über das, was wir für oft selbstverständlich halten, erstmal wieder verständigen. 

 

Das ist oft eine große Unsicherheit, die am Anfang entsteht und das ist aber wirklich wichtig, um sich dem zu nähern, was hinter den Worten liegt.

 

Missverständnisse in der Kommunikation

 

A: Das führt mich zu einer Frage, die ich mir im Vorfeld überlegt habe. Ist es so, dass dadurch auch Missverständnisse entstehen können in Kommunikation und Sprache?

 

 Für mich ist der Prozess, der dann entsteht, dass du dich immer wieder verständigst, über das was ist. (Bettina)

 

B: Ja, absolut.

 

Wenn wir selbstverständlich voraussetzen, dass wir wissen worüber wir reden, wenn jemand Baum sagt. Aber bei der Einen ist es eine Tanne, bei der Anderen ist es eine Eiche – klar führt das zu Missverständnissen. Das ist manchmal mühsam, sich darüber zu verständigen.

 

Es ist aber auch ein Weg, Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Für mich ist der Prozess, der dann entsteht, dass du dich immer wieder verständigst, über das was ist. Wenn ich höre, wir reden über eine Tanne, bin ich ja ganz woanders. Das ist ja jetzt eine Metapher. Wir reden ja oft über Beziehungen. Aber indem ich frage, was damit gemeint ist, erarbeiten wir uns einen gemeinsamen Boden.

 

 

Kontaktvolle Kommunikation

A: Und dann reden wir vom „Gleichen“. Das kann ja dann auch immer nochmal anders sein, aber es ist ja wie eine kontaktvolle Art, miteinander zu sein in der Auseinandersetzung und in der Kommunikation.

 

B: Ja und ich muss mir selbst immer wieder in Erinnerung rufen, dass ich halt nicht weiß, was mein Gegenüber meint. Du tendierst ja selbst auch dazu, nach einer Zeit eine Ahnung zu haben, was dein Gegenüber damit ausdrücken will. Und da offen für zu bleiben und zu sagen: Eigentlich weiß ich es nicht, sondern fülle es grade mit meinen Inhalten, mit dem was mir da vertraut ist. Dann gehe ich halt andere Pfade.

 

A: Das ist echt spannend, weil das Thema Missverständnisse in Kommunikation immer wieder ein Thema ist.

 

Ich habe noch ein anderes Beispiel, was ich gerne zur Verfügung stellen würde. Ich erinnere mich sehr gut, dass wir in der Ausbildung oft gefragt worden sind, eine andere Frage zu stellen, als eine Warum-Frage. Was spürst du, wenn ich eine Warum-Frage stelle? Im Gegensatz dazu stellen wir ja die Frage: „Wozu ist das gut?“ „Wofür ist das gut, das so zu machen oder sich so zu organisieren?“ Wenn du das jetzt liest, kannst du ja auch mal gucken, wie es ist. Was für eine Wirkung eine Warum-Frage hat oder eben die Frage zu nehmen: Wofür ist das gut? 

 

 

Warum Fragen sind selten gut

B: Ich hoffe, dass die Leser und Leserinnen auch denken.

 

Für mich hat die Warum-Frage immer so was wie, du musst dich legitimieren. Dann muss ich mir ausdenken, warum mach ich das eigentlich? Das ist ja keine Idee, sondern eher fast schon ein Vorwurf. Da muss ich mich rechtfertigen, warum mach ich das. Bei „Wofür ist das gut?“, da ist schon drin, dass ich es freundlich anschaue.

 

Das ist ja für uns so wesentlich, dass wir immer sagen Unmut oder alles was in die Richtung geht, ist das Ende vom Forschen. Mit „Wofür ist das gut?“, kann das Forschen beginnen.

 

Wenn ich voraussetze, dass das für irgendetwas gut und sinnvoll ist. Ich gucke das dann nicht mehr an als ein Verhalten, das schwierig ist und problemauflösend, sondern ich gucke das als etwas an, das sinnvoll ist. Sinnvoll und es dient einem guten Zweck. Das macht was ganz anderes auf.

 

 A: Bei „Wofür ist das gut?“, als freundliche Frage, ist das der Anfang einer möglichen Forschung. Es ist für mich immer Forschung, von etwas, das in mir stattfindet. 

 

B: Ja, es ist eine andere Beteiligung. Eine andere innere Beteiligung.

 

A: Es hat auch eine andere Wirkung. Also weil wir eben darüber gesprochen haben, was Worte für eine Wirkung haben.

 

B: Ich habe, weil mich das Thema ja schon lange beschäftigt, mal nachgeguckt. Es gibt einen Film, in dem Amy Adams mitspielt. Da geht es um den ersten Kontakt mit Außerirdischen, die mithilfe von Tintenklecksen kommunizieren. Amy Adams ist da eine Sprachwissenschaftlerin und in der Besprechung von dem Film gibt es die Erwähnung von der Sapir-Whorf-Hypothese.

 

Die kommt aus der Sprachwissenschaft und sagt, dass jede Sprache eine ganz spezifische Wahrnehmung der Welt formt. Also jede Sprache formt eine Wahrnehmung der Welt. Wenn du zum Beispiel unsere Sprache mit der Sprache von indigenen Völkern vergleichst, die zum Beispiel gar keine Zeitformen haben. Oder die gar keine Besitzverhältnisse beschreiben.

 

Das, was wir zur Verfügung haben, hat sehr viel mit unserem kulturellen Raum zu tun. Unsere Sprache prägt das, was wir überhaupt wahrnehmen können. Das finde ich so faszinierend daran. Wir können uns ja auch die Gebärdensprache angucken. Da passiert ja auch was ganz anderes. Wenn ich das in meinem Kopf bewege, dass Sprache die Art formt, wie wir die Welt wahrnehmen, dann wird mir ja auch an der Stelle klar, wie begrenzt das ist.

 

A: Ja, wie begrenzt das ist und ich dachte grade, wie schnell das gehen kann, dass Missverständnisse entstehen. Man muss noch nicht einmal eine andere Kultur haben oder eine andere Sprache sprechen, im Sinne von du sprichst deutsch und du sprichst spanisch. Sondern es kann auch in der gleichen Sprache zu starken Missverständnissen kommen, weil eine andere innere Kultur stattfindet.

 

 

Der Ausdruck von Gefühlen muss wieder gelernt und gelehrt werden

B: Ich habe erst kürzlich was dazu gelesen, dass viele Eltern mit ihren Kindern nicht mehr besprechen, wie Gefühle zuzuordnen sind.

 

Wir haben ja alle unterschiedliche Körperwahrnehmungen. Wenn du mit Klienten und Klientinnen arbeitest und sie äußern Angst, dann gibt es welche, bei denen zieht sich die Brust zusammen. Es gibt welche, bei denen zieht sich der Magen zusammen. Es gibt welche, die werden ganz flatterig. Die Körperwahrnehmung und die Zuschreibung – was passiert gerade in meinem Körper und was sage ich dazu – sage ich dazu Angst oder sage ich dazu flatterig vor Vorfreude.

 

Das ist etwas, das in den letzten Jahren abnimmt. Dass die Zuordnung wirklich besprochen wird. Also wie entstehen Gefühle? Ich muss ja versuchen, dass was ich erlebe, in meinem Körper zu kodieren in Wörter.

 

A: Das ist ein schönes Thema – Wie entstehen Gefühle? Vielleicht sprechen wir da ein anderes Mal drüber, weil das wirklich ein ganz wichtiges Thema ist.

 

Ich habe in meiner letzten Episode darüber gesprochen, warum Menschen Gefühle manchmal nicht gut fühlen können. Das wäre unter anderem auch, weil es gar keine Sprache dafür gibt. Ich habe das so beschrieben, dass es keine Vorbilder dafür gibt.

 

B: In meiner Generation gab es die Idee, dass Hermann Hesse Gefühle in Worte packt, die wir selbst so nicht gefunden hätten. Das war diese Idee von verstanden werden auf einer tieferen Ebene, weil es plötzlich eine Ausdrucksmöglichkeit gab, die wir damals selbst nicht hatten.

 

A: Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen auf Gedichte von Hesse oder Rilke auch reagieren. Also Worte mit einem Gefühl zu hören.

 

B: Ja, das rührt etwas Inneres an.

 

 

Sprache führt zu Lebensfreude und fördert die Persönlichkeitsentwicklung

A: Ich habe noch eine letzte Frage an dich.

 

In meiner Vorbereitung auf das Gespräch ist mir Paul Goodman in die Hände gefallen. Paul Goodman ist ja Mitbegründer der Gestalttherapie, um es kurzzufassen. Er war auch sehr sprachgewandt und hat auch einiges geschrieben. Er hat in einer seiner Bücher geschrieben, dass Sprache etwas sein könne, was die Lebensfreude und die Persönlichkeitsentwicklung fördere.

 

Was sagst du dazu?

 

B: Absolut. Dem stimme ich einfach nur wirklich zu. Mein Lieblingsspruch ist ja „It’s all in how you look at it“ – Es liegt alles darin, wie du etwas betrachtest. Das eröffnet einfach eine Welt, immer wieder. Das Betrachten von etwas und dann noch gleichzeitig auf dem Schirm zu haben, dass Andere aus einer anderen Perspektive das vielleicht auch anders sehen. Das führt dazu, dass ich eben was ich sage, immer unter der Voraussetzung sage, dass ich es so sehe. Sag nochmal, was Paul Goodman gesagt hat, weil es so schön ist.

 

A: „Sprache kann etwas sein, was die Lebensfreude und die Persönlichkeitsentwicklung fördert.“ Als ich das gelesen hab, habe ich gedacht: „Ja, bei mir ist das total so.“ Bei mir passiert im Gehirn einfach so eine Lebendigkeit. Ich merke wie mein Gehirn einfach anfängt zu arbeiten auf eine Art, die mir total gut gefällt.

 

Ich spüre so eine Lebendigkeit. Und das Forschen ist etwas, das meine Persönlichkeit sehr entwickelt hat. Das ist mir bei dem Satz auch in den Sinn gekommen. Deshalb kann ich auch nur sagen: Absolut!

 

B: Das ist glaube ich etwas, das hinausgeht über die Worte. Indem du forschst, zeigst du ja ein ganz großes Interesse an deinem Gegenüber.

 

Also wissen zu wollen oder wirklich nachzufragen „Was ist?“, zeigt ja auf eine Art, dass du dir einen Kontakt vorstellen kannst, der im Alltag oft nicht zu erreichen ist. Das ist das was in der Gestalttherapie passiert. Dass du intensiven Kontakt herstellst, durch das Forschen, durch die Behutsamkeit auch mit Worten.

 

A: Liebe Bettina, ich danke dir für das super schöne Gespräch!

 

B: Ich danke dir! Schöne Überraschung!

 

A: Ich finde das total schön, dass du das so mitmachst und ich freue mich schon auf unser nächstes Gespräch.

 

B: Ich danke dir. Und ich suche das mal mit dem Film noch raus.

 

A: Super. Hab’s ganz gut! Alles Liebe, ciao!